Der folgende Brief zum Thema "Abwasserbescheide" ist am 8.5.2010 an den Bürgermeister gegangen:
Gebührenbegründung für Abwasserbescheide
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
in den Bescheiden des Abwasserbetriebes, wie sie den Kunden bisher zugestellt werden, teilen Sie die zu entrichtenden Gebühren für das Jahr 2010 mit. Aus den Gebührenbescheiden ist nicht zweifelsfrei zu erkennen, welche inhaltlichen Gründe für die Gebührenveränderungen direkt oder indirekt ursächlich verantwortlich sind und sich gegenüber dem Vorjahr ergeben.
Soweit für uns ersichtlich, hat die Stadt Lage bei der Neufestsetzung der Abwassergebühren für 2010 den bisher veranschlagten Aufwand fortgeschrieben und kommt so zu angehobenen Gebühren insbesondere aufgrund sinkender Abwassermengen (offizielle Begründung). Im Übrigen wurde nichts wesentlich erkennbar neu kalkuliert. Es entspricht der herrschenden Auffassung in der gebührenrechtlichen Rechtsprechung, dass Grundvoraussetzung für die Rechtmäßigkeit von Gebührensätzen die Erstellung einer überprüfbaren ordnungsmäßigen Gebührenkalkulation ist.
· In der Praxis der Stadt Lage wird beim Eigenbetrieb nach unseren Informationen eine „„starre“ Plankostenrechnung“ angewendet. Sie berücksichtigt lediglich für die erwartete feststehende Leistungs- oder Ausbringungsmenge der Kostenstelle Eigenbetrieb die erwarteten Kosten. Veränderungen beispielsweise der Beschäftigung gegenüber der Plan-Beschäftigung werden nicht abgebildet. Das Ergebnis: Ein Vergleich der angefallenen Ist-Kosten mit den Plankosten verliert jegliche Aussagefähigkeit. Konsequenz: Die Aussagefähigkeit muss erhöht werden durch ein flexibles Plankostensystem, das die Kosten nach ihren variablen und fixen Kostenanteilen trennt und plant. Die Leistungsmenge für die kommende Periode ist im Voraus nie bekannt. Verrechnungssätze müssen aber bereits im Plan festgelegt werden. Dafür ist die Trennung der variablen von den fixen Kostenbestandteilen unverzichtbar.
Ist eine Gebührenkalkulation in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Ungültigkeit des Gebührensatzes zur Folge. Jede Abgabensatzung einer Kommune ist nichtig, deren Ermessensentscheidung auf unrichtigen oder unzureichenden Kostenfaktoren fußt (z.B. OVG Bautzen, Urteil vom 24.10.1996 – 2S 175/96).
Dieser Umstand muss auch vor dem Hintergrund der jährlichen Praxis gesehen werden, dass zu Lasten des Eigenbetriebes Abwasser der Kernhaushalt der Stadt in etwa gleichem Umfang regelmäßig entlastet wurde, ohne dem Eigenbetrieb dringend erforderliche Finanzmittel zuzuführen.
Im Einzelnen mussten wir, teils wiederholt, zur Kenntnis nehmen:
· Der Entnahme von Eigenkapitalanteilen aus dem Bereich Abwasserbetrieb stehen gleichzeitig Belastungen des Abwasserbetriebes in etwa gleichem Umfang durch Kreditaufnahmen gegenüber (2009).
· Deutlich ausgeprägt ist die Praxis der Abführung der jährlichen „kalkulatorischen Gewinne“ des Abwasserbetriebes an den Kernhaushalt der Stadt. Diese, wenn auch nicht per se illegale, Praxis muss vor dem Hintergrund der zunehmenden hohen Verschuldung im Bereich des Eigenbetriebes Abwasser gesehen werden. Dadurch bedingt kann eine Entlastung der hohen Verschuldung im Bereich Abwasser weder abnehmen noch können dringend erforderliche Investitionen vorgenommen werden. Wir verweisen an dieser Stelle beispielsweise auf ein erforderliches Energieeinsparungsprogramm im Bereich Abwasser, das auch bereits von der Fraktion der Grünen ins Gespräch gebracht wurde. Eine Verstärkung des Eigenkapitals im Wirtschaftsplan Abwasser ist unseres Wissens in den letzten Jahren unterblieben.
· Wir halten die derzeitige Praxis des Eigenbetriebes, für aufgenommene Fremdkredite für das Anlagekapital den Abwasserkunden einen derzeit überhöhten kalkulatorischen Zins in Rechnung zu stellen, obwohl die aktuelle Zinssituation für ausgewiesene Kredite gleich um mehrere Prozent niedriger liegt, für einen verdeckten und nach KAG NRW daher unerlaubten Gewinnvorteil.
· Die regelmäßigen Kreditaufnahmen sind zu einem erheblichen Teil nicht mit entsprechenden Investitionen unterlegt. Vielmehr dient die Rückführung von Eigenkapitalentnahmen (2008, 2009) bei gleichzeitiger Kreditaufnahme in etwa gleicher Höhe zu Lasten des Abwasserbetriebes unter anderem der Abbremsung der weiteren Verschuldung im Bereich des Kernhaushaltes der Stadt sowie der Vermeidung und Umgehung von Kreditaufnahmen nach § 86 GO NRW, RdErl.d.Innenministeriums v. 09.10.2006, und der Umgehung der Haushaltssicherung nach § 75, 76 GO NW i.V. m. § 5 GemHVO NRW.
· Dies führte im Ergebnis dazu, dass die Gebührenzahler im Abwasserbereich in mehrfacher Hinsicht zusätzlich finanzielle Belastungen über längere Zeiträume hinnehmen mussten. So ist zusammengefasst das ungewöhnlich hohe Niveau der Abwassergebühren in Lage zumindest teilweise zu erklären. Beispielsweise sind dadurch bedingt zusätzliche Zinslasten dem Wirtschaftsplan Abwasser auferlegt worden. Entsprechende Produktinvestitionen standen den genannten erhöhten finanziellen Belastungen nicht gegenüber.
Im Ergebnis ist insgesamt eine Gebührenbelastung der Nutzer des Abwasserbetriebes entstanden, die in NRW auf einem vergleichsweise sehr hohen Niveau liegt.
Ein solches Vorgehen ist unter anderem aus sozialen Gründen nicht nachvollziehbar und belastet die Bürger im Vergleich zu anderen Kommunen ungleich stärker. Eine ausgewogene Gewichtung zwischen Eigen- und Fremdkapital im Abwasserbereich ist offenbar momentan nicht absehbar. Der Abbau von längerfristigen Kosten im Abwasserbereich und damit die finanzielle Entlastung des Gebührenzahlers ist nach unserer Auffassung entscheidend um Jahre hinausgezögert worden.
In Bezug auf den Eigenbetrieb Abwasser kommt hinzu, dass finanzielle Belastungen auch zunehmend durch den Wegfall von Gewerbebetrieben entstehen und bisher auf diese Herausforderung in keiner Weise reagiert wurde. In der Konsequenz bleiben die festen Kosten auf hohem Niveau, während andererseits Gebühreneinnahmen stagnieren oder zurückgehen. Dem liegen unter anderem kommunalpolitisch unterbliebene Entscheidungen als Ursache zugrunde. Bürger und Abwassergebührenzahler haben diese Entwicklung nicht zu vertreten.
Zusammengefasst mangelt es, wie von uns immer wieder vorgetragen, an der notwendigen Transparenz und Begründung, die es dem Gebührenzahler ermöglicht, die Notwendigkeit und Gründe sowie Angemessenheit von Gebührensteigerungen nachzuvollziehen.
Dies halten wir auch deshalb für sehr gewichtig, weil Gebührenzahler nach Wegfall des Widerspruchsverfahrens sofort den Klageweg beschreiten müssen. Auf welches Fakten- und Datenmaterial soll er sein Vorgehen stützen und wie seine Klage begründen, wenn ihm die Transparenz vorenthalten wird?
Außer Betracht darf hierbei auch nicht bleiben, dass die Gebührenpraxis der Stadt Lage bei Bürgern wiederholt auf Ablehnung gestoßen ist. Bürgerliche Skepsis und der Wunsch nach Transparenz sind also nicht neu oder unbegründet. Wir halten es für unsere Pflicht, auf diese Umstände aufmerksam zu machen.
Es ist unerlässlich, Gebührenbescheide informativer, aussagekräftiger und damit nachvollziehbarer zu gestalten, was insbesondere durch die Darstellung wichtiger Gebührenbestandteile und der Kalkulationsgrundlagen zu geschehen hat. Auf der Basis des bisherigen Vorgehens ist es dem Bürger als Kunden nicht möglich zu erkennen, ob die Gebührenerhöhung überhaupt grundsätzlich notwendig ist. Die qualitative Transparenz muss einen höheren Stellenwert erhalten.
Da die Frist für die Einreichung einer Klage beim Verwaltungsgericht bekanntlich bereits nach kurzer Zeit endet, schlagen wir vor, gegenüber den Gebührenzahlern künftig eine Erklärung abzugeben, mit der Sie einen Einredeverzicht wegen Fristversäumnis erklären. Weil eine mögliche Klageeinreichung ohne Begründung und deren mögliche Rücknahme bereits Kosten verursacht, wäre das eine Maßnahme im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.
Wir möchten unseren Brief als Denkanstoß und Diskussionsanregung verstanden wissen und stellen daher vorläufig dazu keinen offiziellen Fraktionsantrag. Bei Bedarf oder auf Wunsch können wir das aber gern nachholen.
Mit freundlichen Grüßen
Heinz Walter
Fraktionsvorsitzender