Teil 7:
Liebe Besucherinnen und Besucher,
ist Bundeskanzlerin Merkel für eine Ausweitung der sog. „Flüchtlingskrise“ und ihrer Auswirkungen verantwortlich?
Wir hatten bereits angekündigt, auch noch darüber informieren zu wollen, was es unserer Meinung nach auf sich hat mit der häufiger zu lesenden und zu hörenden Auffassung, vorrangig Bundeskanzlerin Merkel sei für eine „unkontrollierte“ und „ungehemmte“ Einwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in die Bundesrepublik Deutschland verantwortlich zu machen.
Die BBL ist parteipolitisch unabhängig und vertritt keinerlei Interessen von anderen, weder von der Bundeskanzlerin noch von anderen Parteien. Daher befassen wir uns auch nicht aus parteipolitischen oder parteitaktischen Erwägungen heraus mit diesem Thema, sondern auch hier ausschließlich deswegen, weil wir zu einer Sachdiskussion zurückführen möchten, die auf den Fakten basiert und nicht auf irgendwelchen Mythen oder Vorurteilen.
Seit die Zahlen derjenigen, die nach Deutschland kommen möchten, gestiegen sind, wird zunehmend ein Vorwurf gegen Bundeskanzlerin Merkel laut: Sie habe mit ihrer Aussage „Wir schaffen das“ und dem Entschluss Anfang September 2015, syrische Flüchtlinge über Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen, bevor es zu einer humanitären Katastrophe kam, eine Art von „falscher Willkommenskultur“ geschaffen, da die Menschen dadurch animiert würden, speziell nach Deutschland zu kommen. Sie sei damit vorrangig für eine Ausweitung der Flüchtlingszahlen verantwortlich, die Deutschland nicht mehr verkraften könne.
Diese als Vorwürfe gedachten Aussagen kommen sowohl aus der Bevölkerung als auch aus dem politischen Raum.
So spricht beispielsweise der bekannte Leserbriefschreiber Horst Kruse aus Lage in einem Leserbrief in der LZ vom 16.2.2016 wörtlich sogar von „Einladungspolitik“: „Frau Merkel hat ihre Einladungspolitik im Alleingang gestartet; … Er [Anm.: der Kommentator] sollte nicht Seehofer zum Rücktritt auffordern, sondern Merkel, die … eine schmähliche Absage an ihrer Einladungspolitik kassiert hat.“
LZ u. NW v. 16.2.2016 Liebe Besucherinnen und Besucher,
ist Bundeskanzlerin Merkel für eine Ausweitung der sog. „Flüchtlingskrise“ und ihrer Auswirkungen verantwortlich?
Wir hatten bereits angekündigt, auch noch darüber informieren zu wollen, was es unserer Meinung nach auf sich hat mit der häufiger zu lesenden und zu hörenden Auffassung, vorrangig Bundeskanzlerin Merkel sei für eine „unkontrollierte“ und „ungehemmte“ Einwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in die Bundesrepublik Deutschland verantwortlich zu machen.
Die BBL ist parteipolitisch unabhängig und vertritt keinerlei Interessen von anderen, weder von der Bundeskanzlerin noch von anderen Parteien. Daher befassen wir uns auch nicht aus parteipolitischen oder parteitaktischen Erwägungen heraus mit diesem Thema, sondern auch hier ausschließlich deswegen, weil wir zu einer Sachdiskussion zurückführen möchten, die auf den Fakten basiert und nicht auf irgendwelchen Mythen oder Vorurteilen.
Seit die Zahlen derjenigen, die nach Deutschland kommen möchten, gestiegen sind, wird zunehmend ein Vorwurf gegen Bundeskanzlerin Merkel laut: Sie habe mit ihrer Aussage „Wir schaffen das“ und dem Entschluss Anfang September 2015, syrische Flüchtlinge über Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen, bevor es zu einer humanitären Katastrophe kam, eine Art von „falscher Willkommenskultur“ geschaffen, da die Menschen dadurch animiert würden, speziell nach Deutschland zu kommen. Sie sei damit vorrangig für eine Ausweitung der Flüchtlingszahlen verantwortlich, die Deutschland nicht mehr verkraften könne.
Diese als Vorwürfe gedachten Aussagen kommen sowohl aus der Bevölkerung als auch aus dem politischen Raum.
So spricht beispielsweise der bekannte Leserbriefschreiber Horst Kruse aus Lage in einem Leserbrief in der LZ vom 16.2.2016 wörtlich sogar von „Einladungspolitik“: „Frau Merkel hat ihre Einladungspolitik im Alleingang gestartet; … Er [Anm.: der Kommentator] sollte nicht Seehofer zum Rücktritt auffordern, sondern Merkel, die … eine schmähliche Absage an ihrer Einladungspolitik kassiert hat.“
Die selbst an der Regierung beteiligte bayerische CSU droht mit einer Klage gegen die eigene Bundeskanzlerin wegen Verfassungsbruchs: Frau Merkel habe eigenmächtig das „Dublin-Verfahren“ (‚der Staat, in den der Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, muss das Asylverfahren durchführen‘) außer Kraft gesetzt.
Und der Ehrenvorsitzende der CDU - Schwesterpartei CSU und ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber geht noch einen Schritt weiter: Wohl in Verkennung von Ursache und Wirkung macht er Bundeskanzlerin Merkel, der er einen deutschen „Sonderweg“ vorwirft, gleich für den politischen Rechtsruck in ganz Europa verantwortlich, u. a. „auch für die Stärkung der Front National in Frankreich und der FPÖ in Österreich.… Auch für den Aufstieg der faschistoiden Job - Partei in Ungarn und den Aufstieg der Rechtspopulisten in Schweden, den Niederlanden und dem Rest von Europa sei ihre Politik verantwortlich“ (http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_77095190 v. 26.2.2016).
An dieser Stelle sehen wir einmal davon ab, dass sich Vorwürfe wie "Einladungspolitik" und "Verfassungsbruch" etc. z. T. in gefährlicher Übereinstimmung mit den „Argumenten“ der Rechten und Rechtsradikalen befinden, deren Kritik an Frau Merkel in eine ähnliche Richtung geht. Dabei wirft doch Herr Stoiber gerade der Bundeskanzlerin eine „Aufwertung der Rechtsradikalen“ vor...
Wir sehen aus Platzgründen auch von einer Diskussion darüber ab, dass mit einem solchen Vokabular und einer solchen Einschätzung die humanitäre Katastrophe, die hinter jenem einzelnen Flüchtlingsschicksal steckt, auf ziemlich brutale Weise ignoriert wird. Es müsste ja eigentlich nicht um die Abwertung von angeblicher „Einladungspolitik“ gehen (die ja erst einmal aus Humanität begründet ist), sondern um Erkundung und Ausschöpfung aller Möglichkeiten, jedem einzelnen in Existenz- oder Todesnot geratenen Menschen zu helfen. Stattdessen heißt es „gescheiterte Einladungspolitik“, „verantwortlich für einen politischen Rechtsruck in ganz Europa“ etc. – das ist starker Tobak, für den man klare Beweise und oder Belege liefern müsste.
Wir wollen prüfen, ob das beispielsweise bei den obigen Aussagen der Fall ist. Wir glauben nämlich, dass sie inhaltlich falsch sind. Aber sie sind natürlich attraktiv, weil sie eine bequeme Ausrede schaffen: Die „Schuld an der Einwanderung“ in Deutschland trägt eine Person. Sobald man diese Person zu einer anderen Haltung bewegt (oder sie womöglich aus der Verantwortung drängt), kann man die Schrauben zurückdrehen und das Problem ist beseitigt. So einfach ist die Welt in der Denkweise einiger Leute, leider auch einiger Politiker.
Untersuchen wir also zuerst einmal die Aussage von Herrn Stoiber, Merkel sei für einen politischen Rechtsruck in Europa verantwortlich.
Das kann man so eigentlich nur behaupten, wenn man nicht zur Kenntnis genommen hat, dass der „politische Rechtsruck“ bereits seit vielen Jahren existiert und nicht erst durch die neuen Flüchtlinge in Europa entstanden ist. Die Front National in Frankreich z. B. gibt es bereits seit 1972. Bereits im Mai 2012, als in Europa von Flüchtlingen noch kaum die Rede war, erzielte Marine Le Pen mit 17,9 % der Stimmen das bisher beste Ergebnis bei Präsidentschaftswahlen. Einen Monat später bei den Parlamentswahlen kam die FN auf 13,6 % und gewann zwei Sitze in der Nationalversammlung. Und bei den Europawahlen im Mai 2014, ebenfalls also, als das Thema „Flüchtlinge“ öffentlich noch längst keine so große Rolle spielte, wurde die FN erstmals in ihrer Geschichte mit 24,86 % stärkste Kraft bei einer landesweiten Wahl. Zudem nimmt Frankreich aktuell so gut wie keine Flüchtlinge auf.
Die rechtspopulistische und fremdenfeindliche „Partei für die Freiheit“ in den Niederlanden kam schon bei der Parlamentswahl 2010 auf 15,5 %. Auch damals war das Thema „Flüchtlinge“ noch kaum in der öffentlichen Diskussion.
Und in Deutschland? Meißen, Freital, Dresden, Heidenau – Ausländerhass und Aggression lange vor Merkels Satz „Wir schaffen das“. Bei einem Besuch in Heidenau wurde Frau Merkel bereits am 26. August 2015 als „Volksverräterin“ und „Hure“ bezeichnet, während ihr Satz „Wir schaffen das“ erst vom 31. August 2015 stammt. Und dort in Heidenau erreichte die rechtsradikale NPD bei den Gemeinderatswahlen schon im Mai 2014 20,5 % der Stimmen. Auch damals waren die Flüchtlinge noch nicht das große Thema von später. Wir lernen: Rechtsradikale benötigen solche Sätze von Frau Merkel nicht, um rechtsradikal zu werden, zu sein oder zu bleiben.
Es ist also nur schwer zu erkennen, wie man zu der Aussage kommen kann, Bundeskanzlerin Merkel sei für einen Aufstieg oder eine angebliche Stärkung dieser Front National und der anderen rechten, rechtsradikalen oder rechtspopulistischen Bewegungen in Europa verantwortlich.
Inwiefern
könnte man Frau Merkel sonst eine irgendwie geartete persönliche
(Mit-)Schuld an der sog. „Flüchtlingskrise“ zusprechen?
Zuerst einmal müssen wir klären, wie denn eine solche Aussage gemeint sein könnte. Dabei müssen wir zwischen zwei Möglichkeiten unterscheiden.
Einmal könnte damit gemeint sein (wie es jetzt der Linken-Politiker Oskar Lafontaine formulierte), dass Frau Merkel verantwortlich sei für die grundlegenden Ursachen von Flucht (also von Bedrohung durch Tod, Verfolgung, Hunger, Existenznot für sich und die Familie etc.). Beispielsweise seien Waffenlieferungen aus Deutschland auch die Ursachen für die Flucht von Menschen aus ihren Heimatländern. In diesem Sinne wäre Frau Merkel als Repräsentantin der Bundesrepublik Deutschland allerdings nur so viel oder so wenig verantwortlich wie viele andere Staaten (mit Waffenlieferungen, mit kolonialer oder ökonomischer Ausbeutung, mit Unterstützung von Diktatoren etc.) und ihre Staatsspitzen auch.
Diese Version ist aber offenbar meistens auch gar nicht gemeint, wenn der Bundeskanzlerin die Verantwortung für eine „Flüchtlingskrise“ zugesprochen wird. Daher behandeln wir sie an dieser Stelle nicht weiter.
Die andere Möglichkeit, und das ist wohl die, die meistens gemeint ist, ist, dass die Bundeskanzlerin insofern verantwortlich sei für die sog. „Flüchtlingskrise“, als sie durch die Vermittlung einer „Willkommenskultur“ (statt einer eventuell möglichen „Abschreckung“) die Flüchtlinge erst geradezu nach Deutschland gelockt habe, während die sonst möglicherweise entweder woanders hingegangen oder gar nicht erst losgezogen wären.
Diese Version wollen wir also etwas genauer untersuchen. Was spricht dafür, was dagegen?
- Untersuchen wir zuerst, was für diese Aussage sprechen könnte:
Für die Behauptungen, die in diese Richtung gehen, sind bisher außer einigen persönlichen und von der Zahl her keineswegs repräsentativen Aussagen von einzelnen Geflüchteten keine Beweise oder schlüssigen Belege vorgelegt worden. Es existiert einfach die Behauptung, dass es wahrscheinlich so sei. Und das ist für eine wirkliche Tragfähigkeit einer so weitreichenden Aussage zu wenig.
Bisher gründet sich diese Position nämlich auf dem Gefühl, dass es doch schließlich irgendeinen Zusammenhang geben müsse zwischen dem „Wir schaffen das“ von Frau Merkel und einem (z. T. zeitlich darauf folgenden) Anstieg der Flüchtlingszahlen.
Ein solches Gefühl aber ist eine trügerische Basis für Urteile. Man weiß, auch aus der Statistik und der mathematischen Logik, dass solche Ereignisse zufällig übereinstimmen können (dass es also eine „Korrelation“ gibt, wie das in der Wissenschaft heißt), dass aber (hier) zwischen der Aussage der Bundeskanzlerin und der Erhöhung der Flüchtlingszahlen überhaupt kein kausaler Zusammenhang vorhanden sein muss, mindestens kein so direkter, wie er in den obigen Beispielen hergestellt wird.
In der Literatur finden sich dafür viele Beispiele. Nehmen wir eins davon heraus. Es klingt eher lustig, zeigt aber die Problematik: Man weiß statistisch, dass es in Sommern, in denen viel Speiseeis verbraucht wird, auch viele Sonnenbrände gibt. Da scheint doch ein Zusammenhang auch irgendwie logisch. Aber diese beiden Phänomene haben zwar die gleiche Ursache (viel Sonnenschein und Wärme), aber gegenseitig haben sie nichts miteinander zu tun und beeinflussen sich auch nicht. Insofern gibt es keinen wirklichen kausalen Zusammenhang zwischen beiden statistischen Werten, auch wenn das auf den ersten Blick so scheint.
Grundlage der Behauptungen, Frau Merkels Aussagen hätten die Flüchtlingszahlen beeinflusst, ist also irgendwie so ein Gefühl – aber das ist keine auf sorgfältiger Analyse gründende Aussage und damit nicht genug für so weitreichende Beschuldigungen.
- Was aber spricht jetzt eher dagegen? Und gibt es bei sorgfältiger und sachlicher Recherche hier so etwas wie Beweise oder schlüssige Belege? Warum hat Frau Merkel also möglicher Weise doch nicht die „Schuld“ daran, dass so viele nach Deutschland wollen?
Zuerst einmal müssen wir klären, wie denn eine solche Aussage gemeint sein könnte. Dabei müssen wir zwischen zwei Möglichkeiten unterscheiden.
Einmal könnte damit gemeint sein (wie es jetzt der Linken-Politiker Oskar Lafontaine formulierte), dass Frau Merkel verantwortlich sei für die grundlegenden Ursachen von Flucht (also von Bedrohung durch Tod, Verfolgung, Hunger, Existenznot für sich und die Familie etc.). Beispielsweise seien Waffenlieferungen aus Deutschland auch die Ursachen für die Flucht von Menschen aus ihren Heimatländern. In diesem Sinne wäre Frau Merkel als Repräsentantin der Bundesrepublik Deutschland allerdings nur so viel oder so wenig verantwortlich wie viele andere Staaten (mit Waffenlieferungen, mit kolonialer oder ökonomischer Ausbeutung, mit Unterstützung von Diktatoren etc.) und ihre Staatsspitzen auch.
Diese Version ist aber offenbar meistens auch gar nicht gemeint, wenn der Bundeskanzlerin die Verantwortung für eine „Flüchtlingskrise“ zugesprochen wird. Daher behandeln wir sie an dieser Stelle nicht weiter.
Die andere Möglichkeit, und das ist wohl die, die meistens gemeint ist, ist, dass die Bundeskanzlerin insofern verantwortlich sei für die sog. „Flüchtlingskrise“, als sie durch die Vermittlung einer „Willkommenskultur“ (statt einer eventuell möglichen „Abschreckung“) die Flüchtlinge erst geradezu nach Deutschland gelockt habe, während die sonst möglicherweise entweder woanders hingegangen oder gar nicht erst losgezogen wären.
Diese Version wollen wir also etwas genauer untersuchen. Was spricht dafür, was dagegen?
- Untersuchen wir zuerst, was für diese Aussage sprechen könnte:
Für die Behauptungen, die in diese Richtung gehen, sind bisher außer einigen persönlichen und von der Zahl her keineswegs repräsentativen Aussagen von einzelnen Geflüchteten keine Beweise oder schlüssigen Belege vorgelegt worden. Es existiert einfach die Behauptung, dass es wahrscheinlich so sei. Und das ist für eine wirkliche Tragfähigkeit einer so weitreichenden Aussage zu wenig.
Bisher gründet sich diese Position nämlich auf dem Gefühl, dass es doch schließlich irgendeinen Zusammenhang geben müsse zwischen dem „Wir schaffen das“ von Frau Merkel und einem (z. T. zeitlich darauf folgenden) Anstieg der Flüchtlingszahlen.
Ein solches Gefühl aber ist eine trügerische Basis für Urteile. Man weiß, auch aus der Statistik und der mathematischen Logik, dass solche Ereignisse zufällig übereinstimmen können (dass es also eine „Korrelation“ gibt, wie das in der Wissenschaft heißt), dass aber (hier) zwischen der Aussage der Bundeskanzlerin und der Erhöhung der Flüchtlingszahlen überhaupt kein kausaler Zusammenhang vorhanden sein muss, mindestens kein so direkter, wie er in den obigen Beispielen hergestellt wird.
In der Literatur finden sich dafür viele Beispiele. Nehmen wir eins davon heraus. Es klingt eher lustig, zeigt aber die Problematik: Man weiß statistisch, dass es in Sommern, in denen viel Speiseeis verbraucht wird, auch viele Sonnenbrände gibt. Da scheint doch ein Zusammenhang auch irgendwie logisch. Aber diese beiden Phänomene haben zwar die gleiche Ursache (viel Sonnenschein und Wärme), aber gegenseitig haben sie nichts miteinander zu tun und beeinflussen sich auch nicht. Insofern gibt es keinen wirklichen kausalen Zusammenhang zwischen beiden statistischen Werten, auch wenn das auf den ersten Blick so scheint.
Grundlage der Behauptungen, Frau Merkels Aussagen hätten die Flüchtlingszahlen beeinflusst, ist also irgendwie so ein Gefühl – aber das ist keine auf sorgfältiger Analyse gründende Aussage und damit nicht genug für so weitreichende Beschuldigungen.
- Was aber spricht jetzt eher dagegen? Und gibt es bei sorgfältiger und sachlicher Recherche hier so etwas wie Beweise oder schlüssige Belege? Warum hat Frau Merkel also möglicher Weise doch nicht die „Schuld“ daran, dass so viele nach Deutschland wollen?
Bis
ein solcher „Strom“ aus dem Nahen Osten und aus Afrika, wie er zum
Schluss des letzten Jahres in Bewegung war, vor europäischen und
deutschen Grenzen steht, dauert es Monate. D. h.: Die massive Bewegung
hatte längst vorher eingesetzt, vor allem, als sich der
Bürgerkrieg in Syrien dramatisch zuspitzte. Mindestens also hatte Frau
Merkel damit schon einmal nicht die „Schuld“ daran, dass generell im
letzten Drittel des letzten Jahres so viele Flüchtlinge nach Europa und
damit auch nach Deutschland überhaupt unterwegs waren bzw. hier
angekommen sind.
Dass also die Massen von Flüchtlingen längst unterwegs waren, vor den Toren Europas und auch Deutschlands standen, sich wohl auch größtenteils Deutschland ausgesucht hatten, bevor Frau Merkel überhaupt den Hauch einer „Willkommenskultur“ verbreiten konnte, ist der erste zu nennende Aspekt und sicher einer der massivsten Belege für den „Gegenbeweis“ zu den o. g. Beschuldigungen. Frau Merkel hat also nicht aktiv „anlockend“ agiert, sondern eher auf eine bereits vorhandene Situation reagiert.
Dass also die Massen von Flüchtlingen längst unterwegs waren, vor den Toren Europas und auch Deutschlands standen, sich wohl auch größtenteils Deutschland ausgesucht hatten, bevor Frau Merkel überhaupt den Hauch einer „Willkommenskultur“ verbreiten konnte, ist der erste zu nennende Aspekt und sicher einer der massivsten Belege für den „Gegenbeweis“ zu den o. g. Beschuldigungen. Frau Merkel hat also nicht aktiv „anlockend“ agiert, sondern eher auf eine bereits vorhandene Situation reagiert.
Das sieht man z. B. an dem folgenden Auszug über eine zeitliche Abfolge der Ereignisse. Daraus geht hervor, dass bereits am 19. August 2015
nach Schätzung des Innenministeriums von Herrn de Maizière von
mindestens 800.000 Flüchtlingen die Rede ist – seit Mai heraufgesetzt um
fast das Doppelte (ca. 1 Million bzw. wahrscheinlich etwas darüber
wurden es dann bis zum Jahresende tatsächlich). Zum Zeitpunkt der
Schätzung auf etwa 800.000 hatte Frau Merkel weder ihr „Wir schaffen
das“ gesagt noch ein „Dublin-Verfahren“ außer Kraft gesetzt.
(zeitliche Abfolge aus: http://www.zeit.de/2015/38/angela-merkel-fluechtlinge-krisenkanzlerin...; Download 1.3.2016)
Ein weiterer Beleg:
Der folgende Ausschnitt ist eine SPIEGEL online – Meldung vom 1. Februar 2014, also von vor über 2 Jahren. Dort wird beschrieben, dass bereits zu Beginn 2014 9 Millionen Syrer auf der Flucht sind, davon schon damals mindestens 2,4 Millionen aus ihrem Land weg sind
- Anfang 2014! Frau Merkels Aussage „Wir schaffen das“ stammt vom 31.
August 2015! Und diese Aussage soll angeblich verantwortlich sein für
die „Flüchtlingsströme“…
Deutschland ist ein in aller Welt bekanntes hoch industrialisiertes und wohlhabendes Land. Das muss man nicht mehr „posten“, das ist bekannt, auch in Syrien und in Afrika und in anderen Ländern. Diese Länder und ihre Bewohner leben nicht mehr mit Rauchzeichen, sondern sie sind vernetzt, sie haben Internet, sie haben Smartphones – die wissen und wussten lange, dass Deutschland attraktiv ist.
Viele haben hier Verwandte und Bekannte, die schon länger hier sind, mindestens schon lange, bevor Frau Merkel angeblich eine schädliche „Willkommenskultur“ ausgerufen hat. Von daher gibt es und gab es in einem so großen Land wie Deutschland bereits von Beginn an sehr viele Anlaufpunkte für mögliche Flüchtlinge. Das ist für die Entscheidung, wohin man fliehen will, außerordentlich wesentlich: „Die Leute haben meist ein bestimmtes Ziel. Oft wollen sie zu Verwandten in Deutschland oder benachbarten Ländern. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dort auch ankommen“ („Panorama“, ARD 31.8.2015). Auch von daher ist Deutschland von Beginn an bevorzugt im Fokus von Asylbewerbern und Flüchtlingen gewesen, nicht erst seit Frau Merkels Aussage.
Asylbewerber und Geflüchtete äußern daher häufiger, dass sie Deutschland schon immer bewundert haben, dass sie Deutsche in ihrem Heimatland kennengelernt haben und dass sie aufgrund dieser positiven Eindrücke am liebsten nach Deutschland gewollt hätten. In normalen Zeiten wäre eine solche Einschätzung als riesiger Pluspunkt für Deutschland verbucht worden…
Es kommt als "Gegenbeleg" hinzu, dass Frau Merkel noch kurz vorher eine eher gegenteilige (Abwehr-)Haltung vertreten und publiziert hatte.
Viele werden sich an die Meldung im Fernsehen erinnern, als die Bundeskanzlerin bei einem Bürgerdialog in Rostock am 15. Juli 2015 auf das 14-jährige palästinensische Flüchtlingsmädchen Reem traf. Das Mädchen war unsicher, weil es nicht wusste, ob es in Deutschland bleiben dürfe. Frau Merkel antwortete ihr damals: „Und wenn wir jetzt sagen: Ihr könnt alle kommen und ihr könnt alle aus Afrika kommen (…) Das können wir auch nicht schaffen. (…) Nicht alle können bleiben.“ Daraufhin begann das Mädchen zu weinen.
Und am 25. August bei einem Bürgerdialog in Duisburg-Marxloh sagte sie den Satz: „Wer nicht verfolgt wird, dem dürfen wir keine falsche Hoffnung machen.“ Dann sei die Rückführung die richtige Antwort.
(entnommen aus: http://www.focus.de/politik/deutschland/der-kurs-der-kanzlerin-in-zitaten-von-wir-schaffen-das-zu-sie-muss-weg-so-kaempft-merkel-mit-der-fluechtlingskrise_id_5220014.html v. 19.1.2016; Download 1.3.2016)
Von „Willkommenskultur“, die irgendwelche noch zaudernden potenziellen Flüchtlinge nach Deutschland „anlocken“ könne, kann hier wohl kaum die Rede sein.
Dass es also große Teile an Flüchtlingen gegeben hätte, die evtl. ursprünglich aus bestimmten Gründen nach Frankreich oder Spanien oder Italien oder Großbritannien etc. wollten und sich jetzt durch eine Aussage von Frau Merkel in großer Zahl ganz plötzlich entschieden hätten, stattdessen nach Deutschland zu gehen, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Wir haben natürlich auch keine konkreten Zahlen, da es keine repräsentativen Befragungen darüber gibt - es mögen (spekulativ und geschätzt) einige Tausend gewesen sein. Diese Zahlen wären aber angesichts der Gesamtzahl unerheblich. Das würde bedeuten: Die große Zahl derjenigen, die nach Deutschland gekommen sind, wollte wahrscheinlich, völlig unabhängig von der Aussage von Frau Merkel, aus bestimmten Gründen sowieso hierhin – vielleicht auch, weil bekannt war, dass man in Deutschland relativ gut behandelt wird. Soll man das jetzt schlecht finden?
Wir liefern noch einige weitere Begründungen dafür, dass Frau Merkel im Spätsommer 2015 wahrscheinlich richtig gehandelt hat und Vorwürfe an sie mindestens für diese Situation falsch sind:
Mit „Wir schaffen das“ hat Frau Merkel, damals wohl noch mit ein paar mehr europäischen Illusionen als heute, sicher vor allem die Deutschen gemeint, aber ebenso sicher auch die gesamte Gemeinschaft der Europäer im Hinterkopf gehabt. Und dass die Gemeinschaft der Europäer „das schaffen“ würde, wenn es alle gemeinsam wollten, dürfte feststehen. Die angebliche „Gemeinschaft der Europäer“ hat ihr mittlerweile aber einen ziemlichen Strich durch die Rechnung gemacht. Das ändert aber nichts daran, dass es in der damaligen Situation völlig korrekt war, in Erwartung einer minimalen Solidarität der anderen europäischen Länder ein „Wir schaffen das“ zu formulieren.
Es gab und gibt zu diesem Vorgehen zudem keine seriöse und humane Alternative. Was Grenzschließungen in großem Ausmaß - neben den zu erwartenden wirtschaftlichen Schäden - bedeuten, sieht man (auch wenn das bisher ein eher kleines Ausmaß ist) bereits jetzt in Ungarn und Mazedonien etc. Möchte man diese Bilder in verschärfter Form in den nächsten Monaten und Jahren weiterhin sehen?
Abgesehen davon sagen die Fachleute, die es wissen müssen, dass eine wirkliche Schließung der (z. B. deutschen) Grenzen in dem häufig angedachten Sinne gar nicht möglich ist und dass das also damit keine Alternative ist.
Beispiel Grenze zu Österreich:
LZ 19.1.2016
Und hier geht es „nur“ um die noch relativ gut überschaubare Grenze zu Österreich und nicht um Tausende von Kilometern an Seegrenzen in Europa etc., die im Zweifelsfalle dann auch zu schließen sein müssten.
Fazit: Beweise oder wirklich stichhaltige Belege dafür, dass Bundeskanzlerin Merkel die Hauptschuldige an der sogenannten „Flüchtlingskrise“ und ihren Auswirkungen für Deutschland sei, gibt es nicht. Solche Vorwürfe gründen sich auf einem bestimmten Gefühl, und das ist zu wenig.
Beweise für das Gegenteil gibt es selbstverständlich auch nicht, kann es in diesem Metier auch gar nicht geben. Aber dafür gibt es viele stichhaltige Belege, die den Vorwurf an Frau Merkel widerlegen. Wir haben Ihnen oben einige benannt.
Und wenn es denn am Ende wirklich so gewesen sein sollte, dass durch Frau Merkels Aussage einige Flüchtlinge mehr nach Deutschland „gelockt“ worden sein sollten, als sonst gekommen wären, sollten wir stolz darauf sein, dass es dann diesmal ein humanes Deutschland war, welches Menschen in erhöhter Zahl vor dem Tode, vor Verfolgung, vor Hunger und Leid gerettet hat. Stattdessen beklagen wir eine zu intensive „Willkommenskultur“…
Liebe Besucherinnen und Besucher,
unabhängig davon, ob Sie mit unserer Meinung übereinstimmen oder nicht: Wir hoffen, dass wir Ihnen wenigstens einige neue Indizien und Fakten geliefert haben, die nachdenklich stimmen. Denn, wie gesagt: Wir möchten gern, dass die aufgeheizte Diskussion wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt wird und zur Sachlichkeit zurückfindet. Davon ist sie nämlich im Moment ein ganzes Stück entfernt.
Bis zum nächsten Beitrag!
Ihre
BBL
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